Das weltweit erste Experiment einer universellen Arbeitsplatzgarantie steigert das Wohlbefinden und beseitigt die Langzeitarbeitslosigkeit


  • Veröffentlicht 03.12.2022
  • Bundesland Niederösterreich

Das weltweit erste Experiment mit einer universellen Arbeitsplatzgarantie hat die Langzeitarbeitslosigkeit beseitigt. Gleichzeitig sind die Teilnehmer_innen glücklicher, finanziell abgesichert und engagieren sich stärker für ihre Gemeinschaft, wie neue Ergebnisse zeigen.

Das Experiment, das gerade seine erste Phase abgeschlossen hat, wurde von Wirtschaftswissenschaftlern der Universität Oxford konzipiert und wird derzeit ausgewertet. Es wird vom niederösterreichischen Arbeitsmarktservice durchgeführt. Das Programm, das 2020 in der österreichischen Gemeinde Marienthal gestartet wurde, ist einzigartig, da es jedem/jeder Einwohner_in, der länger als 12 Monate arbeitslos ist, eine universelle und bedingungslose Garantie für einen gut bezahlten Arbeitsplatz bietet.

Die wichtigste Ergebnisse:

  • Das Einkommen der Teilnehmer_in stiegund sie gewannen mehr finanzielle Sicherheit.
  • Die Teilnehmer_in waren glücklicher und zufriedener und hatten das Gefühl, ihr Leben besser im Griff zu haben.
  • Sie pflegten engere Beziehungen zu anderen, fühlten sich stärker wertgeschätzt und hatten das Gefühl, dass sie mehr Menschen um sich herum hatten, auf die sie sich verlassen konnten.
  • Durch das Pilotprojekt konnte die Langzeitarbeitslosigkeit beseitigt werden – ein wichtiges Ergebnis, wenn man bedenkt, dass das Programm ausschließlich auf freiwilliger Basis durchgeführt wurde. Es führte auch zu einem starken Rückgang der Gesamtarbeitslosigkeit in der Stadt. 
  • Diese Verbesserungen des sozialen und finanziellen Wohlbefindens und der Rückgang der Arbeitslosigkeit hielten in den ersten beiden Jahren des Programms an.

Sven Hergovich, Geschäftsführer des Arbeitsmarktservice Niederösterreich und Initiator des Programms, sagte: „Ich hatte große Hoffnungen, als wir das Programm starteten, aber diese positiven Ergebnisse übertreffen sogar meine Erwartungen.“

Die Teilnehmer_in des Programms werden bei der Arbeitssuche unterstützt und erhalten eine garantierte bezahlte Arbeit im privaten oder öffentlichen Sektor. Sie verdienen zumindest den Kollektivvertrag, sodass ihr Einkommen über ihren bisherigen Sozialleistungen liegt. Die Teilnahme ist freiwillig, Sanktionen sind nicht vorgesehen.

Maximilian Kasy, Professor an der Universität Oxford und Autor der Studie, sagte zu den heutigen Ergebnissen: „Es ist beeindruckend zu sehen, was für einen Unterschied das Programm gemacht hat. Ja, die Menschen hatten mehr Geld, aber die positiven Auswirkungen gingen weit über das Wirtschaftliche hinaus: Sie waren glücklicher, stärker in ihrer Gemeinschaft verwurzelt und hatten das Gefühl, ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen zu können. 

Die Teilnehmer des Programms erhalten zu Beginn eine zweimonatige Vorbereitung, einschließlich Einzelunterricht, Beratung und – bei Bedarf – Unterstützung durch erfahrene Sozialarbeiter_innen, Ärzt_innen und Psycholog_innen. Anschließend werden sie bei der Suche nach einem geeigneten und subventionierten Arbeitsplatz in der Privatwirtschaft unterstützt oder bei der Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes, der auf ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen über die Bedürfnisse ihrer Gemeinschaft beruht. Ein Jahr österreichische Arbeitslosigkeit kostet rund 30.000 € pro Person, während das Projekt 29.841 € pro Teilnehmer und Jahr kostet.

Lukas Lehner, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Oxford und Autor der Studie, merkte an: „Langzeitarbeitslosigkeit hinterlässt Narben im Leben und schadet den Gemeinden, doch die Arbeitsplatzgarantie in Marienthal zeigt, dass es möglich ist, diesen Schaden mit einer erschwinglichen, innovativen Sozialpolitik praktisch zu beseitigen. Die Menschen wollen eine sinnvolle Arbeit zu einem fairen Lohn, und wenn wir ihnen dabei helfen, kommt dies uns allen zugute.

Einer der Teilnehmer, Johann, 65 Jahre alt, sagte: „Vor der Schließung habe ich 38 Jahre lang in einem örtlichen Chemieunternehmen gearbeitet. Bisher [im Rahmen der Arbeitsplatzgarantie] habe ich in der Renovierungsbranche gearbeitet und konnte meine Fähigkeiten auf vielfältige Weise einsetzen. Mit Hilfe der Beschäftigungsgarantie werde ich im Oktober 2022 als Lagerarbeiter in einem Recyclingunternehmen anfangen.“

Ein anderer Teilnehmer, Mohamad, 44 Jahre alt, fügte hinzu: „[Die] Jobgarantie bietet die Möglichkeit, jeden Tag zu arbeiten und etwas Neues zu lernen. Ich bin dankbar für die Hilfe, die die Jobgarantie bietet; sie ist wichtig für mich.“

Werner V., 60 Jahre, berichtet: „Nach mehr als 600 Bewerbungen erwies sich mein Wunsch nach einer Beschäftigung als hoffnungslos. Zu alt, zu teuer, aufgrund meines Alters ohne langfristige Perspektive, scheinbar überqualifiziert für Dienstleistungsjobs... es schienen viele Hindernisse zu bestehen. Die Jobgarantie erwies sich für mich als äußerst wertvoll und nützlich. In Zusammenarbeit mit der Gemeinde und dem Heimatmuseum archiviere und dokumentiere ich den kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Wert des historischen Ortes Marienthal.

Fallstudien:
Seit Beginn des Programms wurden Arbeitsplätze in den Bereichen Schreinerei, Renovierung, Gartenarbeit, Altenpflege und Büroverwaltung geschaffen. Einige Projekte wurden von den Teilnehmer_in selbst ins Leben gerufen, und mehrere unterstützen kommunale öffentliche Einrichtungen, darunter die örtliche Schule und den Kindergarten.

  • Öffentlicher Nutzgarten: Der örtliche Bürgermeister stellte 250 m2 Land zur Verfügung, das die Teilnehmer_in als nachhaltigen Lebensmittelgarten bewirtschaften. Kräuter und Gemüse können kostenlos geerntet werden, und der Garten ist ganzjährig geöffnet. Die erste Ernte erfolgte im Sommer 2022.
  • Tiertherapie: Zwei Teilnehmer sind bei einem Verein angestellt, der tiergestützte Therapie für Kinder mit verschiedenen Erkrankungen (z.B. Autismus, ADHS, Behinderungen, Lernschwierigkeiten) anbietet. Indem sie sich um die Tiere, das Haus und den Garten des Vereins kümmern, haben sie es dem Zentrum ermöglicht, seine Dienstleistungen zu verbessern und mehr junge Menschen zu betreuen.
  • Bestattungsurnen: Während des (bezahlten) Praktikums der Teilnehmerin Michaela P., die in einem Bestattungsunternehmen Büroarbeiten erledigte, bemerkte ihr Arbeitgeber ihr Talent für die Malerei. Ihr Praktikum wurde im Frühjahr 2022 in eine Festanstellung umgewandelt, und neben der Büroarbeit bemalt sie nun Urnen – ein ganz neues Geschäftsfeld für das Bestattungsinstitut. Bevor Michaela arbeitslos wurde, arbeitete sie in einer Kantine und hätte nie gedacht, dass sie ihr Hobby zum Beruf machen könnte.

Warum Marienthal?
Die strukturelle Arbeitslosigkeit in Österreich steigt seit den 1980er Jahren und wurde durch die COVID-19-Pandemie noch verstärkt. Als dieses Pilotprojekt im August 2020 begann, war etwa jeder/jede fünfte Arbeitslose in Niederösterreich seit mehr als einem Jahr auf Jobsuche. 

Marienthal hat in der Vergangenheit dazu beigetragen, unser Verständnis für Beschäftigungsfragen zu erweitern: In den 1930er Jahren wurde in der Stadt eine bahnbrechende Sozialforschungsstudie durchgeführt, in der untersucht wurde, wie sich die Massenarbeitslosigkeit nicht nur auf das Einkommen, sondern auch auf die Gesundheit, das Wohlbefinden, die sozialen Bindungen und das Gemeinschaftsleben auswirkt. In dieser neuen Studie wird nun der gegenteilige Effekt untersucht: wie sich die Wirtschaft, die Gemeinschaft und das Leben der Menschen durch den Zugang zu garantierter Beschäftigung verändern.  

 

Weiterführende Informatione zu Projekt, Studie und Studienautor_innen:

  • Lukas Lehner ist Wirtschaftswissenschaftler am Institute for New Economic Thinking an der Oxford Martin School (INET Oxford) und am Department of Social Policy and Intervention, University of Oxford. Das INET Oxford wendet innovatives Denken aus den Sozial- und Naturwissenschaften auf wichtige wirtschaftliche und soziale Herausforderungen an.
  • Maximilian Kasy ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Oxford.
  • Das Arbeitsmarktservice Niederösterreich finanziert dieses Projekt, das 7,4 Millionen Euro kostet. Es wird erwartet, dass die Beschäftigungsaktivitäten des Projekts Einnahmen in Höhe von 383.000 € generieren werden. Seit dem Start haben über 100 Personen an dem Programm teilgenommen.
  • Die ursprüngliche Marienthal-Studie wurde von Hans Zeisel, Marie Jahoda und Paul Lazersfeld durchgeführt und als Marienthal veröffentlicht: The Sociography of an Unemployed Community – mittlerweile ein Klassiker der Soziologie.  

Anmerkung und Rückfragehinweis für die Redaktion:
Die vollständige Studie ist erhältlich auf Anfrage beim AMS NÖ, drikzer.wzjtycdrpi@ams.at oder +43 664 83 50 517

Diese Seite wurde aktualisiert am: 03. Dezember 2022