„Perspektive:Arbeit“ – neues Beratungsangebot AMS NÖ für arbeitslose Frauen mit Gewalterfahrung


  • Veröffentlicht 20.02.2023
  • Bundesland Niederösterreich

Jede dritte österreichische Frau zwischen 18 und 74 Jahren hat körperliche oder auch sexuelle Gewalt erlebt, so das Ergebnis einer Studie der Statistik Austria im Auftrag von Eurostat (2020-2021). Eine gewalttätige Beziehung beginnt vielfach mit psychischem Druck: Demütigungen oder Einschränkung der Entscheidungsfreiheit auch was die eigene berufliche Entwicklung betrifft. Das Arbeitsmarktservice (AMS) NÖ hat mit dem Gewaltschutzzentrum NÖ ein eigenes Beratungs- und Betreuungsprojekt entwickelt, um arbeitslose Frauen mit Gewalterfahrung auf ihrem Weg ins Erwerbsleben zu unterstützen.

„Wichtig ist, Hinweise zu beachten und Signale zu erkennen. Gewalterfahrung ist nicht nur an einem blauen Auge zu erkennen, sondern auch an ängstlichem Auftreten und großer Unsicherheit – das zeigt auch die Beratungspraxis im AMS“, erklärt die stellvertretende Landesgeschäftsführerin des AMS NÖ Sandra Kern. „Unsere Beraterinnen und Berater werden zu diesem Thema geschult und sind in regelmäßigem Austausch mit Einrichtungen zum Thema Gewaltprävention. Mit `Perspektive:Arbeit´ haben wir nun ein eigens  Beratungs- und Betreuungsangebot im Feld, damit Frauen aus Gewaltbeziehungen aussteigen und finanziell auf eigenen Beinen stehen können.“

Foto vom Hintergrundgespräch "Perspektive Arbeit". Im Bild: Sandra Kern, stv. Landesgeschäftsführerin des AMS NÖ und Michaela Egger, Leiterin des Gewaltschutzzentrums NÖ

Ein Jahr „Perspektive:Arbeit“: Angebot wird von den Frauen angenommen!
Zu Jahresbeginn 2022 hat das AMS im Kooperation mit dem Gewaltschutzzehntrum NÖ das Programm „Perspektive:Arbeit“ gestartet. Teilnehmerinnen sind Frauen, die vom Gewaltschutzzentrum NÖ betreut werden und eine eigene Existenz aufbauen müssen, oder Kundinnen der nö. AMS-Geschäftsstellen, die die Gewaltdynamik beenden und gleichzeitig beruflich Fuß fassen müssen.

84 Frauen aus Niederösterreich haben 2022 das Angebot genutzt. Der Großteil von ihnen hat Formen verfestigter Gewalt erfahren wie einen Polizeieinsatz, bei dem ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen oder Strafanzeige erstattet wurde. Bei fast einem Drittel der Betroffenen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, neuerlich Opfer einer schweren Gewalttat (z.B. Tötungsdelikt) zu werden. Fast zwei Drittel der Programm-Teilnehmerinnen haben nicht mehr als Pflichtschulabschluss und befinden sich im Haupterwerbsalter. Elf Teilnehmerinnen von „Perspektive:Arbeit“ ist der Erwerbseinstieg bereits gelungen oder sie nutzen ein AMS-Schulungsangebot.

Schritte, um die Teilnehmerinnen persönlich, sozial und wirtschaftlich zu stärken:

  • Psychosoziales Empowerment, damit die Betroffenen wieder handlungsfähig werden.
  • Ökonomische Sicherheit schaffen und Hilfe bei Behördenwegen.
  • Arbeitssuche: Begleitung beim Bewerbungsprozess, Hilfe bei der Anerkennung von im Ausland erworbener Qualifikationen etc.
  • Auswahl einer passenden Aus- und Weiterbildung in Kooperation mit dem AMS.
  • Begleitung beim Ausbildungsbeginn, Berufseinstieg oder im Arbeitsprozess
  • Nachbetreuung, um den Arbeitsplatz bzw. die Ausbildung zu sichern.

„Gemessen an die mannigfaltigen Schwierigkeiten, die diese Frauen zu bewältigen haben, ist das Ergebnis für das Jahr 2022 ein schöner Erfolg. Wir werden dieses Projekt heuer weiter fortsetzen. Nicht zuletzt deshalb, weil wir als AMS bei besonderen Problemlegen immer hinschauen müssen und nicht wegschauen!“, so AMS NÖ-Vizechefin Sandra Kern. Die Kosten für das neue Beratungsangebot, das von Expertinnen des Gewaltschutzzentrums NÖ umgesetzt wird, belaufen sich auf knapp 180.000,- € und werden zur Gänze vom AMS NÖ getragen.

Faktenüberblick: Situation der Frauen in Niederösterreich und Österreich
Wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Isolation erschweren es Frauen aus gewalttätigen Beziehung aussteigen. Laut Gewaltschutzzentrums NÖ steigen Beratungen, Betretungs- und Annäherungsverbote laufend an:

  • Beratene Personen: 2.983 (2019), 3.295 (2020), 3.450 (2021) und 3.782 (2022)
  • Übermittelte Betretungs- und Annäherungsverbote: 1.506 (2019), 2.264 (2020), 2.367 (2021) und 2.629 (2022)
  • 80% der Hilfesuchenden sind Frauen, 90% der Gefährder_innen sind Männer

Existenzängste verschärfen die Gewaltspirale – besonders betroffen sind Frauen und Kinder:
Daten EU-SILC (European Statistics on Income & Living Conditions) 2020:

  • 1,22 Mio. Pers. in Ö sind armutsgefährdet (unter 1.328,- €/Monat f. 1-Pers.Haushalte).
  • Für 457.000 sind Sozialleistungen die Haupteinnahmequelle – rd. 1/3 der Betroffenen!
  • 291.000 Betroffene sind Kinder unter 18 Jahren – knapp 1/4 aller Armutsgefährdeten!
  • 241.000 Betroffene leben in Mehrpersonenhaushalten mit mehr als 3 Kindern!

Frauen: mehr Teilzeit, weniger Einkommen, niedrigeres Arbeitslosengeld, höhere Arbeitslosenquote

  • 2021 arbeitete 46% der unselbständig beschäftigte Frau in NÖ in Teilzeit.
  • 45,1% aller teilzeitbeschäftigten Frauen in NÖ geben „Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Erwachsenen“ als Grund für die Ausübung einer Teilzeitbeschäftigung an. Nur knapp ein Viertel wollen explizit Teilzeit- statt Vollzeitbeschäftigung (Daten Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung Statistik Austria 2021).
  • Frauen verdienen um 35% weniger als Männer (Rechnungshof-Bericht, Daten 2021).
  • Der durchschnittliche Tagsatz für das Arbeitslosengeld beträgt 2022 für Frauen 32,8 €, für Männer 39,2 €.
  • Arbeitslosenquote Frauen 2022: 6,0%, Männer 5,8%

Sandra Kern: „Solange eine Gleichstellung von Männern und Frauen am Arbeitsmarkt nicht erreicht ist, hat das Arbeitsmarktservice das Ziel, jobsuchende Frauen verstärkt zu unterstützen. 2023 werden wir mindestens 52% an arbeitsmarktpolitischen Fördermitteln für Frauen aufwenden. Das sind rund 110,83 Millionen Euro.“

Rückfragehinweis für die Redaktion:
AMS NÖ, Mag. Martina Fischlmayr, Tel.: 050 904 300-120

Diese Seite wurde aktualisiert am: 27. Februar 2023