Jobsuche mit Behinderung: So sieht die Bilanz aus

Hat sich der Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung in den letzten 10 Jahren verbessert? Das Fazit von myAbility-Gründer Gregor Demblin und AMS-Vorstand Johannes Kopf fällt gemischt aus: Die Möglichkeiten für Jobsuchende haben zwar stark zugenommen, aber die Arbeitslosigkeit ist weiterhin hoch.


  • Veröffentlicht 21.08.2019
  • Bundesland Österreichweit

Gruppenfoto (v.li.): Johannes Kopf, Caroline Wallner-Mikl, Gregor Demblin, Martin Graf

„In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Lage für BewerberInnen mit Behinderung stark verbessert“, sagt Experte Gregor Demblin. „Aber es muss noch viel mehr auf struktureller Ebene passieren, damit sie die gleichen Chancen haben, wie BewerberInnen ohne Behinderung.“ Demblin hat den besten Überblick: 2009 hat er gemeinsam mit Wolfgang Kowatsch die inklusive Jobplattform Career Moves (jetzt myAbility.jobs) für Menschen mit Behinderung aus der Taufe gehoben. 2014 gründeten die beiden myAbility – eine Unternehmensberatung mit sozialer Mission: aus der Wirtschaft heraus eine chancengerechte und barrierefreie Gesellschaft zu schaffen. Dazu beraten sie Unternehmen im DACH-Raum bei der Entwicklung von Inklusionsstrategien.

Praxisbeispiel: Mit Sehbehinderung auf Jobsuche

Helen, Jobsuchende mit Sehbehinderung, wäre vor zehn Jahren auf herkömmliche Jobbörsen angewiesen gewesen. Sie hätte, um ein Jobinterview zu bekommen, ihre Behinderung verschwiegen. Im Bewerbungsprozess wäre sie auf Barrieren gestoßen, vor allem in den Köpfen. Heute findet sie auf Plattformen wie myAbility.jobs mehrere passende Stellenausschreibungen – und besonders wesentlich: Sie weiß, dass diese Unternehmen keine Angst vor ihrer Behinderung haben. Nicht nur, dass HR-MitarbeiterInnen und Vorgesetzte durch Awareness-Schulungen sensibilisiert wurden, sie spüren auch Druck durch InvestorInnen und AktionärInnen, konkrete Maßnahmen zur Inklusion einzuführen . Einen weiteren Zugang findet Helen über Talent Programme, in denen studierende High-Potentials mit Behinderung zu Unternehmen finden.

Arbeitslosigkeit noch immer hoch

„Die Möglichkeiten von BewerberInnen mit Behinderung haben sich deutlich gebessert und wir sind froh, mit innovativen Schulungsmaßnahmen, Plattformen und Programmen Vorreiter gewesen zu sein“, sagt Demblin.

Johannes Kopf, Vorstandsmitglied des AMS Österreich, ist seit der ersten Stunde ein Unterstützer von myAbility. Er sagt: „Wir haben aktuell fast 3.300 freie Stellen, bei denen extra darauf hingewiesen wird, dass Menschen mit Behinderung gerne aufgenommen werden. Das hat zum einen mit Bewusstseinsarbeit zu tun, wie sie auch myAbility leistet. Zum anderen aber auch mit dem Fachkräftemangel.“

Allerdings zeigen die aktuellen Arbeitsmarktzahlen, dass es für Menschen mit Behinderung weiterhin schwierig ist, am Jobmarkt Fuß zu fassen.

Die Arbeitslosenquote begünstigt behinderter Menschen ist von 9% im Jahr 2017 auf 8,1% im Vorjahr gesunken. Damit lag sie jedoch immer noch über der gesamten Arbeitslosenquote (2017: 8,5%, 2018: 7,7%). Parallel dazu ist die Beschäftigung begünstigt behinderter Menschen 2018 um 2,4% gestiegen und lag damit über dem allgemeinen Beschäftigungswachstum. Allerdings waren 2018 nur 56,3% der begünstigt Behinderten erwerbstätig, was deutlich unter der Erwerbstätigkeitsquote in der Gesamtbevölkerung liegt.

Nicht alle Menschen mit Behinderung sind von diesen Zahlen erfasst. Insgesamt leben in Österreich rund 1,7 Millionen Menschen mit Behinderung. Nur ein Bruchteil von ihnen hat den Begünstigtenstatus, nämlich 110.741 (SMS). Der überwiegende Teil hat keinen, sei es, weil die formellen Voraussetzungen nicht erfüllt sind oder weil Betroffene ihn nicht beantragt haben. 2018 machte die Gruppe der Menschen mit Begünstigtenstatus oder gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen 24% aller Arbeitslosen aus. „Es ist vor diesem Hintergrund daher besonders wichtig, weiter bei Unternehmen für Aufklärung zu sorgen“, hält Gregor Demblin fest.

Wandel bei den Unternehmen

Bei vielen Unternehmen hat durchaus ein Wandel in den Köpfen stattgefunden, berichtet Demblin. „Die Awareness, dass KundInnen und MitarbeiterInnen mit Behinderung ein unausgeschöpftes Potenzial darstellen, ist wesentlich größer als vor zehn Jahren. Auch die Wichtigkeit von unternehmensweiten Inklusionsstrategien ist ihnen bewusst.“

So berichtet Caroline Wallner-Mikl, Disability Managerin bei der österreichischen REWE Group: „Idealerweise gibt es jemanden, der das Thema aktiv treibt – in großen Unternehmen kann das eine eigene Stelle sein. Ansonsten läuft man Gefahr, dass es bei Einzelinitiativen bleibt.“ Die österreichische REWE Group ist eines der ersten Unternehmen, die mit myAbility eine Disability Strategie entwickelt hat. Wallner-Mikl spricht von Lerneffekten: „Vor einem Jahrzehnt haben wir noch nicht gewusst, welchen Mehrwert die Digitalisierung für Menschen mit Behinderung darstellt.“ Das Unternehmen hat sich zunehmend mit technischen Möglichkeiten befasst, etwa mit einer Barcode-App, mit der auch ein stark sehbeeinträchtigter Mitarbeiter die Verantwortung für den Bereich Getränke in einer Filiale übernehmen kann.

Martin Graf, Vorstandsdirektor der Energie Steiermark, betont: „In unserem Unternehmen ist es uns besonders wichtig, die passenden Rahmenbedingungen für MitarbeiterInnen mit Behinderung zu schaffen. Das beginnt bereits mit der Ausbildung: Wir bieten Jugendlichen mit Behinderung die Möglichkeit, bei uns Teilqualifikationen einer Lehre zu absolvieren.“ Hierbei wird der Lehrberuf entsprechend der individuellen Fähigkeiten auf die Person zugeschnitten, sodass Potenziale optimal ausgeschöpft werden können. Damit einhergehend werden die direkten KollegInnen von MitarbeiterInnen mit Behinderung entsprechend geschult.

„Spezifische Unternehmensförderung notwendig“

„Um die Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Behinderung zu reduzieren, brauchen wir außerdem aber strukturelle Veränderungen“, sagt Demblin, der zweierlei Maßnahmen vorschlägt. Einerseits eine spezifische Unternehmensförderung, um bewusstseinsbildende Maßnahmen und Disability Strategien umzusetzen. „Es gibt mit viel Geld ausgestattete Förderungen, die allerdings erst dann greifen, wenn Unternehmen bereits an der Umsetzung sind. Aber man muss viel früher ansetzen.“

Zweitens schlägt Demblin effizientere Strukturen bei der Ausschreibung von Jobs für Menschen mit Behinderung vor. „Es gibt eine Verwässerung bei der Vermittlung“, sagt Demblin. Spezialisierte, regionale Dienstleister schicken individuell KandidatInnen, die nicht immer die geeignetsten sind. „Wir empfehlen, nach dem Englischen Remploy-Modell einen One-Stop-Shop einzurichten. Bei diesem übernimmt ein Exklusivdienstleister vier Wochen lang eine Trichterfunktion und trifft die beste Vorauswahl für Unternehmen.“

Diese Seite wurde aktualisiert am: 11. März 2020