Aktuelle Analyse zum Fachkräftemangel in Tirol
Im November diskutierten Land, WK, Sozialpartner und Tiroler Betriebe im Rahmen einer Workshop-Reihe vom AMS mögliche politische Handlungsoptionen in Bezug auf den Fachkräftemangel. Im Sinne einer Ideenwerkstatt lag der Fokus auf der Frage, wo es noch politisches und auch betriebliches Handlungspotenzial gibt.
Innsbruck/Tirol, 21.12.21: Der Fachkräftemangel wird in Tirol seit mindestens 30 Jahren beobachtet und ist somit kein neues Phänomen. Unbestritten ist, dass der Fachkräftemangel die wirtschaftliche Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit in Tirol aktuell und auch zukünftig stark einbremsen wird. Nach einer Berg- und Talfahrt in den letzten Monaten ist die Beschäftigung und auch die Nachfrage nach Arbeitskräften in Tirol zuletzt auf ein Rekordniveau gestiegen und die Arbeitslosenquote ist deutlich gesunken. Der Strukturwandel in der Arbeitswelt schreitet mit hastigen Schritten voran und aufgrund der demografischen Entwicklung wird sich das Problem in den kommenden Jahren voraussichtlich noch deutlich zuspitzen.
Aus diesem Grund wurde vom AMS Tirol eine Workshop-Reihe ins Leben gerufen – in Zusammenarbeit mit dem Institut für Berufsbildungsforschung der Wirtschaft (ibw). Führungskräfte aus Tiroler Unternehmen, Betriebsratsmitglieder, Regionalmanager, Sozialpartnerschaft sowie arbeitsmarktpolitische Akteure beschäftigten sich gemeinsam mit dem AMS mit der Frage, in welchen Bereichen sich noch politisches und auch betriebliches Handlungspotenzial zur Abmilderung des Fachkräftemangels finden lässt.
HANDLUNGSOPTIONEN:
Qualifizierte Zuwanderung (Landesrat Anton Mattle, Land Tirol)
„Der Fachkräftemangel betrifft auch andere europäische Regionen. Wir müssen uns im internationalen Wettbewerb behaupten und uns gemeinsam um diese Menschen bemühen. Um wirtschaftlich auch weiterhin erfolgreich und innovativ zu bleiben, brauchen wir auch weiterhin eine qualifizierte und idealerweise auch dauerhafte Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem In- und Ausland. Ihre Kompetenzen müssen wir unbürokratisch anerkennen und für diese Menschen müssen wir als Arbeitsort und Lebensraum attraktiv bleiben.“
Arbeitsbedingungen und Sozialpartnerschaft (Erwin Zangerl, Präsident Arbeiterkammer Tirol)
„Im überregionalen Wettbewerb um Fachkräfte werden sich auch die Arbeitsbedingungen weiter verbessern müssen. Angesichts der höheren Arbeitsintensität infolge von personeller Unterbesetzung stehen viele Unternehmen dabei vor großen Herausforderungen, denen auf betrieblicher Ebene mit vielen Ideen und großen Bemühungen auch bereits begegnet wird. Auch die in Tirol gelebte Sozialpartnerschaft und unsere sozialen Sicherungsnetze werden sich langfristig als Standortvorteil erweisen.“
Elementare Bildung und Pflichtschule (Landesrätin Beate Palfrader, Land Tirol)
„Präventiv entgegenwirken können wir dem Fachkräftemangel auch im Bildungssystem, indem wir den Ausbau und die Flexibilisierung des Kinderbetreuungsangebotes weiter vorantreiben. Schul- und Ausbildungsabbrüche müssen wir mit geeigneten Unterstützungsmaßnahmen verhindern, so werden wir in den Pflichtschulen die Praxis- und Berufsorientierung weiter stärken und den Fokus der Öffentlichkeit einmal mehr auf die Bedeutung der Fachberufsschulen für den Wirtschaftsstandort Tirol lenken. Hier bestehende Maßnahmen zu verbessern und neue wirksame Maßnahmen zu finden und zu setzen, ist auch Teil der Arbeitsmarktstrategie Tirol 2030.“
Lehrausbildung (Christoph Walser, Präsident Wirtschaftskammer Tirol)„Mit vereinten Kräften muss es uns gelingen, die Lehrausbildung weiter aufzuwerten, etwa mit der Modernisierung der Berufsschulen und der Berufsbilder oder mit einer höheren Durchlässigkeit unseres Bildungssystems. Andere Länder beneiden uns um die duale Ausbildung. Wir müssen uns bemühen, alle Jugendlichen mit dem Angebot einer praxisnahen Berufsausbildung anzusprechen und auch für viele Erwachsene müssen wir die Chancen einer Lehre am zweiten Bildungsweg stärker betonen.“
Aus- und Weiterbildung und Gleichstellung (Alfred Lercher, Landesgeschäftsführer AMS Tirol)
„Das lebenslange Lernen wird in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen und für viele Unternehmen wird die Förderung der betrieblichen Aus- und Weiterbildung vom Berufseinstieg bis zur Pension zunehmend wichtiger werden. Zusätzlich dazu könnten durch eine bessere Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben die Erwerbsbeteiligung, insbesondere von Frauen, erhöht und unsere Rollenbilder an die gesellschaftlichen Veränderungen angepasst werden. Es sollte uns auch gelingen, mehr Frauen für technische Berufe und mehr Männer für die Pflege oder pädagogische Berufe zu gewinnen.“
Weitere Handlungsoptionen wurden im Ausbau der Gesundheitsprävention, der Schaffung von Anreizen und Beschäftigungsoptionen für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie in der gezielten Ansprache von einzelnen Personengruppen (work&travel, Menschen im Ruhestand, Studierende, etc.) ausgemacht.
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DETAILS:
Der Fachkräfteradar des Instituts für Berufsbildungsforschung der Wirtschaft (ibw) – eine Unternehmensbefragung - hat ergeben, dass im Jahr 2021 drei von vier Tiroler Unternehmen direkt vom Fachkräftemangel betroffen waren. Vier von fünf der befragten Unternehmen gehen in den nächsten drei Jahren sogar davon aus, dass der Fachkräftemangel in Tirol stark (59,1 %) oder etwas (19,9 %) zunehmen wird. Besonders stark ausgeprägt ist der Mangel im Handwerk, im Baunebengewerbe, bei den Kochfachkräften und in der Pflege. Es ist aber nahezu jede Branche von der Knappheit an Arbeitskräften betroffen.
Auswirkungen des Fachkräftemangels (Zustimmung der Unternehmen in %):
- Zusatzbelastung für die Unternehmen (90,3 %)
- höhere Ausgaben für Personalsuche (84,5 %)
- höhere Arbeitsintensität für die vorhandenen Mitarbeitenden (84,1 %)
- höhere Gehälter für neue Mitarbeitende (75,8 %)
- Zunahme von Überstunden bei den vorhandenen Mitarbeitenden (71,8 %)
- Anstellung von geringer qualifizierten Arbeitskräften (67,7 %)
- Vermehrter Aufwand für die Qualifizierung und Weiterbildung von Mitarbeitenden (66,2 %)
- Umsatzeinbußen, z.B. durch Ablehnen/Stornieren von Aufträgen, Einschränkung des Leistungsangebots, weniger Werbung oder Auftragsakquise (61,4 %)
Die größten Schwierigkeiten haben die Unternehmen bei der Suche nach Personal mit Lehrabschluss sowie beim Finden von Personen ohne berufliche Ausbildung, aber mit praktischer Berufserfahrung. 43,8 % der befragten Unternehmen würden mehr Lehrlinge ausbilden, wenn sie geeignete Jugendliche fänden.
Demografischer Wandel verstärkt Fachkräftemangel
Seit dem Jahr 2021 leben in Österreich erstmals mehr Seniorinnen und Senioren als unter Zwanzigjährige. Für Tirol wird von der Statistik Austria ein Rückgang der Wohnbevölkerung im Haupterwerbsalter (20 bis 64 Jahre) um knapp 18.000 Personen (inkl. Zuwanderung) bis zum Jahr 2030 prognostiziert und gleichzeitig werden auch das Durchschnittsalter und die gesundheitlichen Probleme dieser Erwerbspersonen steigen. Bereits seit 40 Jahren ist die Anzahl der Jugendlichen in Tirol rückläufig. Dieser Rückgang ist auch der primäre Grund dafür, dass auch die Anzahl der Lehrlinge seit Jahren sinkt. Der Anteil der Lehrlinge im ersten Lehrjahr an allen 15-Jährigen liegt in Tirol hingegen relativ konstant bei ca. 45 bis 48 %. Der auch demografisch bedingte Rückgang von Fachkräften mit mindestens Lehrabschluss trifft auf eine stetig steigende Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften und dieser Mangel wird sich in den kommenden Jahren verstärken.
Diese Seite wurde aktualisiert am: 21. Dezember 2021